Am Weihnachtsabend lastete die Dunkelheit wie eine schwere Decke auf der Stadt. Der Frost legte sich still auf die Straßen, und selbst die Lichterketten schienen wie unter einem unsichtbaren Schleier zu flimmern.
Als ich mich nach meiner endlosen Schicht auf den Rücksitz des Taxis sinken ließ, fühlte ich die Erschöpfung wie eine Welle über mich hinwegrollen. Der warme Sitz, das leise Brummen des Motors – es war alles so tröstlich, dass ich meine Augen schloss.
Doch als ich sie wieder öffnete, war nichts mehr, wie es war. Statt der vertrauten Straßen und Lichter meines Hauses war da nur Finsternis. Ein kalter Raum, der nach Staub und Kälte roch, nahm mich auf, und mein Herz begann wild zu schlagen.
Doch lasst mich von vorn beginnen. Weihnachten bedeutete mir nie viel. Für mich war es ein bittersüßes Mahnmal all dessen, was ich verloren hatte. Die leuchtenden Bäume und lachenden Gesichter erinnerten mich an das, was ich nie hatte:
eine Familie, ein Zuhause, ein Gefühl von Zugehörigkeit. Doch Sergej – mein Sergej – war das genaue Gegenteil. Weihnachten war sein Element. Er liebte es mit der kindlichen Begeisterung eines Menschen, der in diesen Tagen das Herz seiner Kindheit wiederfand.
Am Nachmittag hatte er mich angerufen, seine Stimme ein Lied aus Vorfreude. „Marina, du wirst es nicht glauben! Der Baum strahlt, der Glühwein ist heiß, und ja, ich habe sogar diesen schrecklichen Pullover angezogen, den du so hasst! Du wirst lachen – ich sehe furchtbar aus.“
Ich hatte gelacht, auch wenn mein Herz sich dabei schwer anfühlte. Seine Freude sollte auch meine Freude sein, und doch war da diese Leere in mir, die kein Glühwein und keine Lichterkette füllen konnte.
Ich versuchte, die Gedanken zu vertreiben, als das gelbe Taxi ankam. Der Fahrer drehte sich zu mir um und lächelte, als ob er mehr wüsste, als er sagte. „Marina?“ „Ja, das bin ich.“ Das letzte, woran ich mich erinnere, war, wie ich mich in den Sitz schmiegte,
die Müdigkeit wie eine schwere Decke über mir. Doch als ich erwachte, war alles anders. Die Wärme des Taxis war verschwunden, die Geräusche der Stadt verstummt. Stattdessen fand ich mich in einem Raum wieder, der so still war,
dass ich mein eigenes Herz hören konnte. Karge Wände, ein schwaches Licht, und eine Kälte, die sich durch meine Kleidung fraß. Panik stieg in mir auf. „Hallo? Ist da jemand?“ Meine Stimme zitterte. Plötzlich knackte eine Tür.
Licht drang herein, und in der Tür erschien eine Gestalt – groß, dunkel, schwer zu erkennen. „Wer sind Sie?“ Meine Stimme brach fast, meine Hände suchten panisch nach meinem Handy, das nicht da war. Der Mann trat näher, und ich sah sein Gesicht:
markant, aber von einer sanften Traurigkeit durchzogen. „Marina Nikolajewna?“ fragte er. „Ja“, sagte ich und wich einen Schritt zurück. „Woher kennen Sie meinen Namen?“ Sein Blick war ruhig, aber ernst. „Es gibt etwas, das Sie wissen müssen. Bitte kommen Sie mit mir.“
Ich lachte nervös, das Adrenalin jagte durch meine Adern. „Ist das ein schlechter Witz? So fängt doch jede Entführungsgeschichte an!“ Er hob die Hände, als wollte er mich beruhigen. „Ich weiß, das klingt seltsam, aber es war nicht meine Idee.
Ihr Freund… Sergej hat mich gebeten, Sie zu treffen.“ Seine Worte trafen mich wie ein Blitzschlag. „Sergej? Was hat das zu bedeuten? Wo ist er?“ Der Mann atmete tief durch, bevor er sagte: „Ich werde es Ihnen erklären, aber… ich muss zuerst etwas gestehen.
Ich bin Ihr Vater.“ Die Zeit schien stillzustehen. Das Wort „Vater“ hallte in meinem Kopf wider, während mein Verstand versuchte, zu begreifen, was hier geschah. „Nein“, flüsterte ich und schüttelte den Kopf. „Das ist eine Lüge.“
Er trat näher, seine Augen glitzerten vor unterdrückten Tränen. „Ich wusste nichts von dir, Marina. Wenn ich es gewusst hätte, wäre ich bei dir gewesen. Ich habe erst vor Kurzem von dir erfahren.“ In diesem Moment trat eine weitere Gestalt in den Raum.
Sergej. Sein Gesicht war von einer Mischung aus Schuld und Hoffnung gezeichnet. In seinen Händen hielt er einen Umschlag. „Marina“, begann er mit leiser Stimme, „ich weiß, das ist viel für dich. Aber es ist wahr. Ich habe ihn gesucht. Zwei Jahre lang.“
„Zwei Jahre?“ Meine Stimme bebte. „Und du hast mir nichts gesagt?“
„Ich wollte dich nicht verletzen“, antwortete er sanft. „Aber ich wusste, wie viel dir die Wahrheit bedeuten würde. Ich dachte, wenn ich ihn finde, könntest du vielleicht… einen Abschluss finden. Oder einen Anfang.“
Er reichte mir den Umschlag. Darin war ein DNA-Test, der bestätigte, was der Mann sagte. Mein Herz pochte, mein Kopf drehte sich, während Sergej erklärte, wie er meine Vergangenheit Stück für Stück zusammengesetzt hatte.
„Ich wusste nichts“, wiederholte der Mann leise. „Deine Mutter hat mir nie von dir erzählt. Aber jetzt, wo ich dich kenne, will ich alles tun, um ein Teil deines Lebens zu sein.“ Ich sah ihm in die Augen – dieselben Augen wie meine. Die Worte kamen nur schwer über meine Lippen:
„Ich weiß nicht, ob ich Sie ‚Papa‘ nennen kann. Aber vielleicht… möchte ich Sie kennenlernen.“ Eine Träne rollte über seine Wange, und er nickte langsam. „Das ist mehr, als ich mir jemals hätte erträumen können.“
In der Ferne erklang ein Weihnachtslied, leise und zerbrechlich, doch es schien den kalten Raum mit Wärme zu füllen. Und zum ersten Mal in meinem Leben fühlte sich Weihnachten nicht nur wie Verlust an.
Es war ein neuer Anfang – ein Funke von Hoffnung, der dort leuchtete, wo zuvor nur Dunkelheit war.