Die wichtigste Frau in seinem Leben, In einer kleinen Stadt, umgeben von sanften Hügeln und einem dichten Wald, lebte Anna mit ihrem Sohn Lukas in einem alten, aber liebevoll gepflegten Haus.
Die Wände des Hauses erzählten Geschichten von Jahrzehnten – eingerahmte Familienfotos hingen an den Wänden, und die Gardinen, die Anna selbst genäht hatte, tanzten leicht im Wind. Für sie war dieses Haus nicht nur ein Zuhause, sondern eine Festung, die sie und Lukas vor der Welt schützte.
Lukas war 28 Jahre alt, ein schmaler junger Mann mit nachdenklichen Augen und einer leichten Unsicherheit in seiner Haltung. Er war nicht wie andere in seinem Alter – er hatte keine Arbeit, kein Studium und auch keine Pläne,
sich in die Gesellschaft einzufügen. Für Anna war das kein Problem. Im Gegenteil: Es erfüllte sie mit Stolz. „Er braucht diese Welt da draußen nicht“, dachte sie oft, während sie ihm sein Lieblingsessen kochte oder ihm abends heiße Milch ans Bett brachte. „Ich bin genug für ihn, und er ist genug für mich.“
Die Tage in ihrem gemeinsamen Leben verliefen ruhig und gleichmäßig, wie ein sanfter Fluss, der seinen Weg durch die Zeit findet. Morgens bereitete Anna das Frühstück vor, meist frische Brötchen mit Marmelade, die sie selbst einkochte.
Lukas saß am Küchentisch, blätterte in einer Zeitung oder spielte mit einem der vielen Modellautos, die er als Kind gesammelt hatte. Danach verbrachte er Stunden in seinem Zimmer, las Bücher oder spielte Videospiele, während Anna das Haus in Ordnung hielt.
Für Anna war ihre Rolle klar: Sie war nicht nur seine Mutter, sondern auch seine Vertraute, Beschützerin und – so dachte sie insgeheim – die einzige Frau, die Lukas wirklich brauchte. Sie liebte es, wie er sie um Rat fragte,
wie er sich mit ihr über die Filme unterhielt, die sie abends gemeinsam sahen, und wie er sich jedes Mal bei ihr bedankte, wenn sie ihm das Abendessen brachte.
Doch tief in ihrem Inneren schlummerte eine Angst, die sie nie laut aussprach. Was, wenn jemand kam, um diese perfekte Harmonie zu stören? Was, wenn eine andere Frau versuchte, Lukas von ihr wegzuziehen?
Dieser Gedanke raubte ihr den Schlaf, und sie schwor sich, alles zu tun, um ihre Welt intakt zu halten.
Eines Tages, als die Sonne gerade hinter den Hügeln verschwand und das warme Licht die Stadt in Gold tauchte, geschah das Unvorstellbare. Anna stand in der Küche und rührte in einem Topf, als sie draußen am Gartenzaun eine leise Stimme hörte.
Sie trat ans Fenster und erstarrte. Lukas stand dort – nicht allein. Neben ihm war eine junge Frau, vielleicht Mitte zwanzig, mit lockigem braunem Haar und einem sanften Lächeln auf den Lippen.
Anna spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog. Die Frau trug ein gelbes Kleid, das im Wind wehte, und sie lachte über etwas, das Lukas gesagt hatte. Es war ein herzliches Lachen, das Anna fast körperlich schmerzte.
„Lukas!“ rief sie, ihre Stimme lauter und schärfer, als sie es beabsichtigt hatte. Er drehte sich um, sein Gesicht zeigte eine Mischung aus Überraschung und leichter Verlegenheit. „Komm ins Haus“, fügte sie hinzu, ohne die Fremde eines Blickes zu würdigen.
Als Lukas in die Küche trat, sah sie ihn mit durchdringendem Blick an. „Wer war das?“ Ihre Stimme war ruhig, aber ihre Augen verrieten die aufgewühlten Gedanken, die in ihr tobten. „Mama, das war nur Julia, eine Bekannte aus der Stadt“, sagte Lukas, während er den Blick auf den Boden richtete.
„Eine Bekannte?“ Anna verschränkte die Arme vor der Brust. „Was will sie von dir?“ „Nichts, Mama. Wir haben uns nur unterhalten.“ Doch Anna glaubte ihm nicht. Sie spürte, dass diese Julia mehr wollte – mehr von Lukas, mehr von ihrer kleinen Welt, die sie so sorgfältig aufgebaut hatte.
In dieser Nacht konnte Anna nicht schlafen. Sie lag wach und starrte an die Decke, während die Worte ihres Sohnes in ihrem Kopf widerhallten. „Nur eine Bekannte.“ Doch für Anna war das nicht genug. Niemand, absolut niemand, würde den Platz einnehmen, der ihr gehörte – die wichtigste Frau in Lukas’ Leben zu sein.